Montag, 5. Januar 2015

1. An der Front: Gefangennahme - I

["[Schlimmer noch] vollzogen sich die Ereignisse am Bahndamm von Fleury. Die in den Stollen sitzenden Pioniere und die wenigen Infanteristen wurden überrascht und gefangen. Aus der vorderen Linie gelangte keiner bis zum Bahndamm zurück. Wieviele dort lebend gefangen wurden, ist nie ermittelt worden. Sie können nur nach Dutzend gezählt haben. Der zehnmal größere Teil war verschüttet … gefallen … verblutet …", Beumelburg, S. 160]

Im Ft. Douaumont wurden vier Offiziere (FAR 108: Hptm Prollius,
Lt. Möhring, Lt. Noack, RIR27:  Lt. Schwarz (6. Komp) und  24 Mann
gefangengenommen. (zeitgen. frz. Postkarte, Aufnahme vom 25.10.1916)  
Die Uhr zeigt zwei Uhr nachmittags. Wir müssen Spalier laufen, so dicht stehen die Franzosen.
»Allez, allez!«, schreien sie, spielen am Gewehrschloss und knallen in die Luft.
Man plündert uns aus. Wir bekommen Fußtritte und Kolbenstöße. Pfahl läuft vor mir. Oben am Damm nimmt uns ein Landstürmer in Empfang und treibt uns vor sich her. Er ist froh, den Douaumont nicht mitstürmen zu brauchen.
Der ist längst geräumt. Diesmal hat die französische Artillerie ganze Arbeit gemacht. Die Infanterie fand nur noch zerschossenes Gemäuer und eine Handvoll Versprengter vor .


[Der von 2.50 [nachmittags] ab zögernd in dichten Kolonnen vorgehende Franzose war im Abschnitt südlich des Forts auf keinen Widerstand mehr gestoßen. Ein paar Überlebende von den Reserve 90ern und dem II. Batl. Res. Inf. Regt. 27, das in der vorigen Nacht abgelöst hatte, standen bis an den Bauch im Schlamm. Gewehre und Handgranaten hatten sie nicht mehr. Verteidigen konnten sie sich nicht mehr. Zurückgehen konnten sie nicht mehr. […], Beumelburg, S. 160]



(zeitgen. frz. Postkarte, Aufnahme vom 25.10.1916)
Wir befinden uns jetzt an der vordersten Stellung. Grauenhaft sieht es hier aus. Kein Graben mehr, kein Unterstand – alles nur Trichter und zerfetzte Leiber. Hier liegen sie irgendwo, all die guten Kameraden – hier liegt die ganze Kompanie!
Weshalb hat man sie nicht vorzeitig aus dieser unmöglichen Stellung zurückgezogen? Ein Nahkampf Mann gegen Mann weiter hinten wäre ihnen tausendmal lieber gewesen, als dieses Verbluten im feindlichen Feuer.
Unser Mann treibt uns voran. »Allez, allez, nom de Dieu!«, schimpft er, wenn wir auseinandergehen, um einem Granattrichter auszuweichen.

Reservetruppen strömen an uns vorüber. Es sind Senegalneger, Gruppen zu acht, von zwei Franzosen geführt. Sie alle stehen unter Alkohol. Stier ist ihr Blick und grässlich ihre Physiognomie. Einige haben ein Messer zwischen den Zähnen .


[Der Douaumont wurde durch das Régiment d'infanterie coloniale du Maroc (RICM) eingenommen. Verstärkt wurde es durch das 43. Bataillon des Tirailleurs Sénégalais (43e BTS) und anderen kolonialen Einheiten.]

»Das ist keine Reklame für euch Franzosen«, denke ich und wende mich ab. Drüben bleibt plötzlich einer stehen und legt auf uns an in seinem besoffenen Kopf. Er schießt, trifft aber nicht und taumelt weiter.
Wir sind in der französischen Stellung angekommen. Hier sieht man wenigstens noch den Graben. Vor mir liegen zwei Franzosen mit dem Gesicht in einer Blutlache. Ein Pfarrer schlägt gerade das Kreuz über ihnen und läuft dann hurtig weiter in seiner braunen Kutte. Er sucht Sterbende, denen er die Sakramente geben möchte, findet aber nur Tote.
»Respekt vor diesem Mann«, denke ich, »hat es nicht nötig, sich ein Stück Eisen in den Leib jagen zu lassen und ist doch ganz vorn bei seiner Truppe. Er tut seine Pflicht im Dienste der Kirche. Sie taten sie für ihr Vaterland.«

Wir springen in einen Laufgraben. Ein prächtiges Reitpferd versperrt uns den Weg. Erst vor wenigen Augenblicken musste es den Tod gefunden haben. Der Reiter liegt darunter.
»Allez, allez!«, schreit der Franzose. Wir steigen darüber hinweg.
Es geht bergab, der Graben wird tiefer. Vor uns taucht die französische Artilleriestellung auf. Ein Höhenrücken von oben bis unten mit Geschützen bespickt. Terassenförmig sind sie aufgebaut. Die Franzosen feuern heraus, was die Rohre halten wollen. In Hemdsärmeln arbeiten sie.
Von allen Seiten strömen Gefangene im Hauptgraben zusammen. Die Menschenmassen stauen sich.
Da setzt plötzlich unsere Artillerie ein, die wir in den letzten Tagen so sehr vermisst haben. Wieder ein Schuss mit-ten hinein in die Menge. Die Leiber fliegen in die Luft. Von hinten treiben die Franzosen mit ihren Bajonetten. Panik bricht aus, man stürzt über die Gefallenen und Verwundeten hinweg. Unsere eigenen Landsleute schießen uns zusammen.
Die Massen stauen sich. Wir stehen vor einem Zwischenwerk der »Froide Terre«, sind aber in eine Sackgasse hineingelaufen.
Rrrrrach – wir fliegen gegen die Grabenwand. Ein Volltreffer! Das französische Geschütz, welches 30m rechts von uns feuerte, ist nicht mehr. Fünf tapfere Kerle sind in Stücke gerissen worden.
Rrrrrach – der Nächste auf den Eingang zum Werk. Balken und Steine kommen herunter. Splitter zischen hinein in die Menge. Ich werde nach vorn gedrängt. Vor mir liegt ein Leutnant auf dem Gesicht. Blut quillt rot aus seinem Mund. Die Hand ist ihm abgerissen, er stöhnt. Ich kann mich nicht zu ihm bücken, denn die Menge wogt zurück.
Der nächste Schuss trifft das Werk in seinem Lebensnerv – er schlägt durch. Die Franzosen stürzen heraus und prügeln auf uns los.
Neben mir brüllt einer seinen Schmerz hinaus, es ist ihm ein Arm abgerissen worden, er sackt zusammen. Mit blutüberströmtem Gesicht steht ein anderer an einer Grabenwand. Ich selbst fühle einen stechenden Schmerz am linken Schienbein. Heiß läuft das Blut herab und füllt die Stiefel.
»Allez, allez!«, schreien die Begleitmannschaften, die mit aufgepflanztem Seitengewehr auf der Grabenkante mitlaufen.
»Sales boches!«, brüllen uns die anderen an und machen dabei eine vielsagende Arm- und Schulterbewegung. Also in die Schnauze schlagen möchten sie uns am liebsten.
Man wirft mit Dreck nach uns. Andere wieder sind vernünftig.
Wir sind am Ziel. Ein Zaun auf freiem Feld nimmt uns auf. Erschöpft sinke ich in die Knie. Das war zuviel für meinen jungen Körper.
Ich blicke auf in den abendlichen Himmel. Ruhig und majestätisch zieht die Erde ihre Bahn im unermesslichen All. Mögen die törichten Menschen sich auch irgendwo an ihrer Oberfläche befehden und aus tausend Feuerschlünden Pulver und Eisen auf sich schleudern, nicht um ein Atom ändert sie ihren Lauf. Zur festgesetzten Stunde lässt sie es Abend werden und senkt den Frieden der Natur herab auf jedes Ding und in die Seele jeder Kreatur.
Feierabend ist es – herbstlicher Feierabend, wie er mir noch so deutlich aus meinem Heimatdorfe in Erinnerung ist. Ich sehe den Bauer heimkehren mit seinen Leuten. Das Rattern der Wagen und das Schleifen der Eggen dringen an mein Ohr. Ich sehe sie vom Hofe kommen, die Alten, die ihr Vieh besorgt haben. Sie setzen sich vor die Tür oder plaudern über den Zaun.
Friede, heimatlicher Friede – oh, wie ich ihn herbeisehne! Kaum, dass ich die Heimat verlor, lerne ich sie schätzen!
Meine Gedanken enteilen in weite Fernen, zu den Eltern, die um ihren Sohn bangen. Möchten doch die Ätherwellen ihnen verkünden, dass er noch unter den Lebenden weilt!

Bajonette blitzen vor mir auf und rufen mich in die Wirklichkeit zurück. Rechts und links und weit in das Land hinein speien unzählige Schlünde Feuer in den abendlichen Himmel hinaus. Die Menschen hier kennen keinen Feierabend. Sie hören nicht mehr die Stimme der Natur, denn es ist Krieg. Willkommen heißen sie die Nacht, um ihr Vernichtungswerk vollenden zu können.
Drüben liegt Deutschland! Drüben sterben sie, unsere Landsleute, für ihr Vaterland! Wir aber stehen mit geballten Fäusten und sehen die schweren Geschosse im abendlichen Himmel ihren Weg nehmen!
Und dann beginnt der Marsch – der Marsch ins Innere Frankreichs hinein. Eine ganze Kompanie Landstürmer steht mit aufgepflanztem Seitengewehr Spalier. Man nimmt uns in die Mitte und treibt mit viel Geschrei und Schimpf die Letzten vom Feld.
Wir werden gezählt.

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