Freitag, 2. Januar 2015

2. Gefangenschaft: Märtyrerlager Souilly II

Ortseingang vom Lager aus, 2014.
Die Kolonne wird links abgebogen sein.
Endlich am fünften Tage werden wir aus unserem Elend befreit.
Die Infanterie nimmt auf der Strasse Aufstellung. Langsam leert sich das Feld, trotzdem die Franzosen wie die Kettenhunde ihr »Allez, allez!« kläffen. Müde und krank, zerlumpt und verdreckt stehen wir wieder in Viererreihen.
»Allez, en avant!«, kreischen die Posten. Sie sind überhaupt heute so aufgekratzt – was mögen sie mit uns vorhaben?
Wir biegen in die Hauptstrasse des Dorfes ein.
»Nom de Dieu, nom de Dieu!«, flucht da plötzlich ein französischer Sergeant in unseren Reihen herum. Immer unausstehlicher wird er. Jetzt prügelt er sogar drauflos, bis man ihn begreift.
»Par distance!«, schreit er unentwegt. Drei Meter Abstand zwischen jeder Reihe will er haben, weil drüben ein Kurbelfritze steht und einen Film für Paris dreht.
Nette kleine Tricks, das muss man ihnen lassen! Erst machen sie Elendskreaturen aus uns und dann bringen sie uns auf die Leinwand, möglichst »par distance«, damit die Reihe nicht abreißt.
Ich bin empört! Ein jeder ballt wohl die Faust in der Tasche! Nicht die Stockhiebe des Sergeanten sind es, sondern die Handlung als solche.
Wir sind Feinde, nun gut! Wir haben gekämpft, ritterlich gekämpft. Dieser Kampf hat sein Ende gefunden im Augenblick der Gefangennahme. Wir haben uns im Geiste die Hand gereicht und hätten das auch in Wirklichkeit getan, wenn das praktisch möglich gewesen wäre.

"Deutsche Gefangene vor dem Hauptquartier in Souilly 1916",   
(zeitgen. frz. Postkarte).
»Wir bekennen uns geschlagen und achten und respektieren Euch als Sieger!«, haben wir durch Erheben der Hand kund getan.
Ein ritterlicher Sieger tut das Gleiche. Er achtet den Besiegten, aber er entwürdigt und entehrt ihn nicht und er behandelt ihn menschlich.
Was aber haben die Franzosen getan? Man kann die Moral einzelner nicht zu einem endgültigen Urteil für die Gesamtheit machen. Ich kenne den Charakter des französischen Volkes noch zu wenig. Vielleicht ist es auch der Hass, der jede gesunde und edle Regung des Herzens und jede Vernunft erstickt.
Mit befriedigten Gesichtern treiben uns die Franzosen wieder auf unsere Märtyrerstätte zurück. Machtlos stehen wir unserem Schicksal gegenüber.

Verdun

Das Schlachtfeld hatte uns ausgespien,

es konnte die Leiber nicht schlingen.
Der Herrgott hatte uns Kräfte verlieh´n
Unmögliches zu vollbringen.

Nun stehen wir hier im finstern Kral,
der Tod lichtet unsere Reihen.
Von all den Leiden, von all der Qual
wird er uns erlösen – befreien.

Souilly – Verdun, ein einziges Grab,
gähnt düster zu unseren Füßen.
Noch immer sinken sie sterbend hinab,
wann wird es sich endlich schließen?





Zu den körperlichen Leiden gesellen sich jetzt die Seelischen. Vielen bricht diese Nacht, die sich mit Sturm und Regen anlässt, die letzte Widerstandskraft.

Ich hocke am anderen Morgen apathisch am Eingangstor, denn ich habe Fieber. Sie kommen, schieben aber die Kranken zurück. Fünfzig Gesunde für die Arbeit wollen sie holen, ich werde mit Karlchen zum Tore hinausgedrängt.


Kriegsgefangenenlager Souilly:
Entlausungsanlage mit Druckkessel wird befüllt
(Aufnahme eines US Soldaten, 1917)
Wir werden entlaust.
Unter einem offenen Schuppen steht ein Dampfkessel – es hätte auch eine ausrangierte Dreschmaschine sein können.
Wir müssen uns im Freien ausziehen und unsere Sachen in eine Zeltbahn knoten. Zwanzig Minuten sollen die kleinen Tierchen unter Druck und Dampf zersetzt werden. Uns »sales boches« will man inzwischen abschruppen.
»Allez, en avant!«

Hundert Meter im kalten Oktoberwind über den Hof zur sogenannten Badeanstalt, bestehend aus einem mannshohen Gerüst und Holzkasten. Ein Franzmann bedient dieses Wunderwerk der Technik.

Er steigt mit einem Eimer Wasser die Leiter hinauf und gießt uns den kalten Segen über den Leib. Ich komme nur bis zum Einseifen. Der Franzmann weigert sich hartnäckig, noch etwas nachzuschütten. »Der Nächste!«, schreit er von oben herab.

Mit nassem Körper stehen wir wieder vor dem Dampfkessel und warten auf unsere Sachen. Da fällt plötzlich einer um. Drei Mann schaffen ihn in die nächste Baracke. Sie kehren gleich wieder zurück. Tot – Herzschlag!
Die nächste Nacht liege ich auf Reisig in einem großen Zelt. Auch dieses reißt gegen Mitternacht der Sturm ein.
Tags darauf werde ich einem Kommando zugeteilt und verlasse Souilly, ausgerüstet mit Decke, Brotbeutel und Kochgeschirr überglücklichen Herzens.

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